Symbolische Entwicklung

Funktional gebrauchen [ab 12-15 Monaten]

Gegen Ende des ersten Lebensjahres, wenn das Kind die Gegenstandsund Personenwelt mit dem triangulären Blick verbindet, beginnt es sich dafür zu interessieren, was die Anderen mit den Gegenständen tun. Zusätzlich kann es in diesem Alter seine Bewegungen bereits so gut steuern und koordinieren, dass es erste Handlungen nachahmen kann. Zwischen 12 und 15 Monaten lernt das Kind auf diese Weise die Funktion alltäglicher Gegenstände kennen, und es wird sie nun dementsprechend manipulieren. Das Spezielle dieser Entwicklungsphase liegt darin, dass diese Verbindung von Gegenstand und der zu ihm passenden funktionalen Handlung nicht eine lose, sondern eine zwingende ist. Der Gegenstand ruft nach der ihm entsprechenden Handlung, d.h. das Telefon existiert eigentlich erst dann als Telefon, wenn es telefonierend, die Bürste ist erst dann eine Bürste, wenn sie bürstend ist. Das Funktionsspiel ist deshalb in diesem Alter die zentrale Spielform. Inhaltlich gehören auch die Handlungen des Umleerens, Aufund Ineinanderstellens zum Funktionsspiel. So ist die Funktion von Bau-Elementen (Klötze/Würfel) diejenige, als Turm aufeinandergestellt oder in einen (Form-) Behälter gefüllt zu werden, die Funktion einer Flasche liegt darin, dass ihr Inhalt in ein anderes Gefäss geleert wird. Ein besonderes Merkmal des Funktionsspiels besteht auch darin, dass das Kind die Spielhandlungen häufig wiederholt; z.B. dass es den Löffel zum Mund der Puppe, des Bären und der Mutter bringt, oder dass es beim Umleeren die Flüssigkeit von einem Gefäss ins andere und wieder zurück schüttet. Das Spiel hat deshalb häufig eine repetitive oder zirkuläre Form. Eine weitere Eigenschaft des Funktionsspiels liegt darin, dass die ganze Faszination in der Handlung selbst liegt und nicht in dem, was sie bewirkt. Ob nun die Haare der Puppe nach dem Bürsten glatt sind, ob der Turm hoch oder der Strich auf dem Papier farbig, gerade oder krumm ist, hat in dieser Entwicklungsphase noch keine Bedeutung.



Selina 11 Mte

Selina hält den Hörer des Telefons mit der rechten Hand in die Nähe des Ohrs. Auch ich halte einen Hörer ans Ohr und ich sage "hoi Selina, hoi". Sie legt den Hörer auf den Boden und manipuliert die Unterseite des Telefons; ich verabschiede mich "also, tschüss tschüss" und lege meinen Hörer auf die Gabel. Sie schaut mich an und verlangt sofort nach meinem Telefon. Sie führt den Hörer mit der linken Hand zum Ohr und ich sage "hallo!". Sofort schaut sie mich wieder an und reicht mir den Hörer.In dieser Szene zeigt sich klar die Absicht von Selina, mein Telefon zu ergreifen. Sie drückt dies auch aus, indem sie sich mit dem ganzen Körper dem begehrten Objekt zuwendet und entsprechende Laute äussert. Die ganze Handlung ist jedoch auf das Telefon und noch nicht an mich gerichtet, d.h. sie drückt ihre Absichten aus, aber sie teilt sie mir noch nicht mit.



Caroline 13 Mte

Caroline greift den Löffel mit dem Pinzettengriff, schaut mich an und führt ihn dann zum Maul des Nilpferdes. Ich sage "ämämäm danke" und sie schaut mich wieder an. In dieser Szene wird sichtbar, dass Caroline zwar den Löffel dem Nilpferd in den Mund steckt, dabei aber noch keine Vorstellung von dem Tier als Essendem aufbaut, also schaut, was dieses tut; interessanter ist es zu schauen, was ich tue.



Charlotte 13 Mte

Charlotte legt das Papier vor sich hin und greift nach dem Malstift, den ich ihr hinhalte. Dazu äussert sie kurz "da" und ich bestätige "ja, da". Sie nimmt ihn mit der rechten Hand und bringt ihn mit Zuhilfenahme der linken so in Position, dass die Spitze zum Blatt schaut. Dann hält sie ihn zum Papier, kommentiert "da", wendet dieses noch einmal und fährt nun mit dem Stift der Oberfläche entlang. Ich bestätige wieder "ja" und kommentiere dann "oih!". Als sie an der Blattgrenze auf Widerstand trifft, macht sie "eh!", verschiebt noch einmal kurz das Papier und wirft den Stift dann mit einer definitiven Geste vor sich auf den Boden.



Anouk 14 Mte

Anouk hält einen Teller in der Hand und versucht, eine Knetwurst auf den Löffel zu laden. Ich rufe "Anouk, Anouk, schau!". Sie schaut zu mir hin und sieht, dass ich das Nilpferd halte, um es mit Knete zu füttern. Sie sagt "am" und ich gebe dem Tier zu essen, ahme sein Kauen nach und rufe dann "mmmh, ist das fein!". Anouk lässt Teller und Löffel fallen und eilt zum Tier, um in das Maul zu schauen. Dann tritt sie etwas zurück und sagt "am!"; ich wiederhole "ämämäm".



Nadine 15 Mte

Nadine gibt dem Nilpferd ein Stück Knetmasse. Ich imitiere das Geräusch des Kauens, worauf sie sich irritiert zurückzieht. Ich sage anstelle des Nilpferdes "und ein wenig Schoppen? Kann ich auch noch ein wenig Schoppen haben?". Nadine schaut suchend über den Tisch, und lächelt zufrieden, als sie den genannten Gegenstand entdeckt. Sie streckt den Arm aus, zieht sich aber gleich wieder zurück, als sie realisiert, dass dieser etwas weit weg steht.



Caroline 16 Mte

Caroline hält den Schoppen in der Hand; ich halte das Nilpferd und habe eben zu trinken verlangt. Da sie nicht reagiert hat, nehme ich den Schoppen mit dem Maul des Tieres und mache eine Trinkbewegung. Etwas irritiert betrachtet Caroline den Schoppen, schaut kurz zu mir, führt ihn dann zu ihrem Mund und trinkt genüsslich. Gerade als ich sagen will "ich wott au", hält sie den Schoppen spontan dem Nilpferd hin. Ich lasse es trinken und bedanke mich "danke". Caroline schaut mich lächelnd an und führt den Schoppen wieder zu ihrem Mund. Dann hält sie inne, schluckt geräuschvoll, und mit einer entschiedenen Geste reicht gibt sie dem Nilpferd nochmals zu trinken.



Luca 16 Mte

Luca spiesst mit der Gabel ein Stück Knetmasse auf und will es dem Nilpferd zum essen geben. Ich halte dessen Mund geschlossen, schüttle seinen Kopf und sage "basta, non voglio più - non voglio più" (schluss, ich will nicht mehr - ich will nicht mehr). Luca ist etwas irritiert und nimmt die Knete schliesslich selbst in den Mund. Dabei lacht er und schaut die Mutter an, d.h. er scheint genau zu wissen, dass er die Knete nicht essen soll und kann. Er nimmt sie deshalb sofort heraus und versucht es nochmals mit dem Nilpferd, welches sie jetzt auch entgegennimmt.
Diese Sequenz zeigt sehr deutlich die Charakteristik des Funktionsspiels: die Funktion von Gabel und Knete ist die des zu Essen Gebens, d.h. diese Handlung muss auch ausgeführt werden, ansonsten würden die Gegenstände ihren Sinn verlieren. Ist nun der Mund des Nilpferdes verschlossen, muss Luca eine andere Lösung finden - seinen eigenen Mund. Dass die Handlung noch nicht symbolisch ist, sieht man auch daran, dass sie dann abgeschlossen ist, wenn sich die Knete endlich im Mund des Tieres befindet. Er kümmert sich noch nicht darum, dass dieses jetzt ein essendes Tier ist.