Symbolische Entwicklung

In Bilderbuch blättern [ab 12-15 Monaten]

Ein Bilderbuch besteht aus mehreren zusammengehefteten Seiten; die dazu passende funktionale Handlung ist deshalb die des Blätterns und Schauens. Schon im Alter von 12-15 Monaten interessieren sich die Kinder für diese Handlungen. Haben sie entdeckt, dass die Erwachsenen zu den Bildern auch etwas sagen, beginnen sie, auf diese zu zeigen und einzelne sogar selbst zu kommentieren. Das Blättern, Schauen und Zeigen wie auch die ersten sprachlichen Kommentare sind die Handlungen, nach denen der Gegenstand des Bilderbuches ruft. Obwohl das Kind die Bilder anschaut, steht in der Entwicklungsphase von 12-18 Monaten nicht das Betrachten im Vordergrund, sondern das aktive Tun.



Selina 11 Mte

Selina blättert im Bilderbuch und ich beschreibe mit Lautmalereien die einzelnen Bilder; zuerst "pipi", dann "gaga". Sie sieht das Pferd und äussert "pff" (brrr), um dieses zu bezeichnen. Sie schliesst das Buch und beginnt wieder zu blättern. Dann schaut sie zum Tisch und sagt "bäh", womit sie nach Angaben der Mutter die Tiere bezeichnet.Obwohl Selina die Bilder anschaut und sogar einzelne benennt, bezeichne ich diese Handlung noch nicht als "Betrachten", sondern als "Schauen". Im Unterschied zu späteren Entwicklungsphasen, wo das Bilderbuch auf dem Tisch liegt und das Kind die Bilder betrachtet, steht hier noch stark die funktionale Handlung, nämlich das Blättern im Vordergrund. Auch das Benennen kann in dieser Entwicklungsphase eher als Handlungsschema, denn als Bezeichnung verstanden werden.



Caroline 13 Mte

Ich halte das Bilderbuch und sage zur Abbildung einer Katze "miau". Caroline nimmt es mir aus der Hand, dreht es, äussert "uuh" und öffnet und schliesst den Mund. Ich wiederhole "u-u"; sie zeigt mit dem Finger auf das Bild und macht "o". Ich bestätige "oih" und sage dann nochmals "miau".Gut kann man in dieser Szene erkennen, wie die Sprache die Handlung des Blätterns und Schauens unterstützt und begleitet: es ist, als ob Caroline mit ihren Aeusserungen sagen wollte, 'da ist etwas, das auf etwas in dieser Welt hinweist, nur weiss ich noch nicht genau was es ist.'



Charlotte 13 Mte

Ich habe Charlotte das Bilderbuch gezeigt; dann hat sie einen Löffel aufgehoben und mir gegeben. Die Szene beginnt, als ich den Löffel zu einem abgebildeten Tier hinhalte und ein Ess-Geräusch mache. Sie schaut mich kurz an, schliesst das Buch und nimmt es nun mit beiden Händen zu sich. Sie öffnet es und beginnt zu blättern, wobei sie erst leise und dann immer lauter und mit fast wütendem Tonfall "da!" ruft. Ich antworte ihr erst leise mit "da?" und darauf ebenfalls immer lauter mit "uih!"Wir haben die Szene so interpretiert, dass Charlotte schon ahnt, dass die Abbildungen im Buch etwas Besonderes darstellen, sie aber noch nicht wirklich erkennen kann. Durch das "da!"-Rufen weist sie darauf hin, dass da etwas ist, und drückt gleichzeitig ihre Ungeduld darüber aus, dass sie nicht erfassen kann, was es ist.



Anouk 14 Mte

Anouk hält das Bilderbuch in beiden Händen und ruft aus "bäih!". Ich frage "was hat es denn da, du?", während sie im Buch blättert. Bei der Abbildung eines Huhns, sage ich "oih, gagagg?". Sie kommentiert wieder "bäih!" und ich wiederhole "oih!". Sie reicht mir das Buch, und ich bedanke mich.



Nadine 15 Mte

Nadine blättert im Bilderbuch und zeigt auf einen Vogel, den sie als "gaga" bezeichnet. Die Mutter sagt "ist das ein gaga, ein Vögeli?". Nadine vokalisiert in honer Tonlage, schaut mich an und blättert dann weiter. Wieder zeigt sie auf ein Bild und sagt "gei". Es handelt sich um einen Schmetterling und es bleibt unklar, was sie mit "gei" sagen wollte.Ursprünglich habe ich diese Beobachtung als "Bilderbuch betrachten" eingestuft. Im direkten Vergleich mit den Filmsequenzen älterer Kinder wird jedoch deutlich, dass hier noch das Blättern und Schauen im Vordergrund steht und das Benennen eigentlich mehr zur Handlung als zum Bild gehört. Wenn die Kinder ein Bilderbuch wirklich betrachten, verweilen sie viel länger auf einer Seite und "studieren" das Bild genau.



Luca 16 Mte

Luca blättert im Bilderbuch; beim Pferd äussert er kurz den Laut "ca?". Ich kommentiere "uh, il cavallo come fa il cavallo?" (uh, das Pferd wie macht das Pferd?) und mache gleichzeitig ein Schnalzgeräusch sowie die Bewegung des Reitens. Dadurch wird die Aufmerksamkeit von Luca wieder zum Buch gelenkt und während er weiterblättert imitiert er das Schnalzen sowie die Bewegung, wobei sich ein Lächeln auf seinem Mund abzeichnet.