Ab dem dritten Lebensjahr eröffnet sich dem Kind eine Welt, welche nicht mehr auf das Hier und Jetzt beschränkt ist. Es erkennt sich als selbständige Person und beginnt, seine eigenen Fähigkeiten einzuschätzen und von denjenigen Anderer zu unterscheiden. Es entdeckt die Möglichkeit, die Welt durch das Sprachverständnis auszudehnen und über die Sprachproduktion zu erobern. Alle diese neuen Errungenschaften finden anfangs des dritten Lebensjahres im Fragen ihren Ausdruck. Mit den Was-istdas?-Fragen versucht es seine Kenntnisse über die Sprache zu erweitern und immer auch zu bestätigen. Mit den Wo?-Fragen zeigt es den Erwachsenen, dass sie ihm jetzt etwas von der Welt ausserhalb von Haus und Familie erzählen können. Mit den Warum?-Fragen bedeutet es, dass es nun mehr über die Beziehungen zwischen Personen, Dingen und Ereignissen erfahren möchte.
Ich stelle Roberta einzelne Formen hin; sie führt sie zu einer Oeffnung der Formbox und fragt "da?". Ich antworte "ne-e", und sie versucht es bei der nächsten Oeffnung, wobei sie wieder "da?" fragt. Ich antworte "ja gut", und sie greift nach einer weiteren Form.Beim Einführen kann Roberta noch nicht antizipieren, welche Form in welche Oeffnung passt, sondern sie probiert dies aus (Versuch-/Irrtumstrategie). Zusätzlich wird die Aufgabe durch meinen Kommentar unterstützt und erhält dadurch etwas Spielerisches. Bei der letzten Form helfe ich ihr durch Zeigen und zwar, bevor sie aufgegeben hat. Damit weiss man nicht, ob sie die passende Oeffnung auch alleine gefunden hätte. Ich habe ihr die Oeffnung gezeigt, weil ich die Aufgabe für ihr Alter als schwierig erachtete und vermeiden wollte, dass sie den Spass an diesem Spiel verlieren würde.
Roberta führt Formen in die Formbox ein, indem sie jede Oeffnung ausprobiert und sie schliesslich in die korrekte gleiten lässt. Das Spiel wird durch die sprachliche Interaktion unterstützt und gleichzeitig mitbestimmt, indem sie jeweils bei jedem Loch "da?" fragt und ich mit hoher Stimme "nein" oder "ja" antworte. Wenn die Form in die Oeffnung fällt, kommentiere ich dies mit "pum!", was sie sofort wiederholt.Interessant ist hier die Beobachtung, dass es ihr offensichtlich Spass macht, sich ganz durch die Sprache leiten zu lassen. So kann sie sich jeweils fast nicht dazu entschliessen, die Form wirklich ins Loch fallen zu lassen. Auch sucht sie hier im Gegensatz zu allen anderen Szenen keinen Blickkontakt. Genau in dem Sinne, wie die "da?"Wörter die Handlungen bestimmen und leiten, handelt es sich um echte Fragen und damit auch um Einwortsätze.
Marina hat mit der Flasche hantiert, schaut nun auf und fragt "wo's Bäbi?". Ich rücke die Puppe auf meinem Schoss etwas nach vorn und antworte "da ist es". Sie schaut sich auf dem Tisch um und fragt "wo's Löffeli?". Während ich sage "s' Löffeli, das ist...", hat sie dieses bereits aufgehoben, und ich bestätige "da ist es". Sie führt es in die Flasche ein und hält es dann lächelnd zum Mund der Puppe . Ich mache ein EssGeräusch und sage "danke Marina". Sie legt den Löffel hin, nimmt den mit Wasser gefüllten Schoppen, sagt "namal Wasse" und füllt dieses vorsichtig in die Flasche.Durch die Fragen nach der Puppe und dem Löffel am Anfang dieser Szene zeigt Marina, dass sie eine Vorstellung der auszuführenden Handlung entwickelt hat. Nachdem sie diese Handlung ausgeführt hat, fällt ihr Blick wieder auf die Flasche, und daraus ergibt sich die nächste Tätigkeit.Interessant ist hier die Frage, welche Funktion ihre sprachlichen Aeusserungen haben. Auf den ersten Blick sind die ersten beiden Fragen und die dritte ein Ausdrücken ihrer Absicht. In der Tiefe haben sie jedoch mehr die Funktion, die Ereignisse zu beschreiben, d.h. die Planung und Koordination ihrer Handlungen zu unterstützen.
Lynn nimmt den Deckel des Malstiftes weg, schaut kurz auf die Spitze und sagt "chiibe" (schreiben). Sie hält den Stift im Daumenquergriff in der rechten Hand und malt eine zirkuläre Kritzelei. Dann reicht sie den Stift dem Nilpferd und fragt "au no chiibe?" (auch noch schreiben?). Ich sage mit hoher Stimme "oh ja, danke", lasse das Tier den Stift halten und etwas malen.In dieser Szene lässt sich gut beobachten, wie Lynn dem Spielzeug-Tier eine symbolische Bedeutung gibt, d.h. es so behandelt, als ob es ein lebendiges Wesen mit eigenen Wünschen und Absichten sei. Beim Greifen und Gebrauchen des Malstiftes sieht man, dass die Bewegung noch aus dem Unterarm herauskommt und die ganze Hand beteiligt, d.h. noch liegt der Schwerpunkt nicht in der Spitze des Stiftes. Es handelt sich deshalb noch nicht um einen Erwachsenengriff.
Ich zeige auf die Stelle der Zeichnung eines Autos, wo das Rad fehlt und sage "machen wir das noch rasch". Remo schaut kurz hin, stochert mit dem Messer in der Knete und legt den Trichter auf den Tisch. Ich insistiere "nur schnell" und halte ihm den Malstift hin. Remo tut, als ob er nichts gehört hätte, schaut auf dem Tisch umher und fragt "wo is' Flässli?" (wo ist das Fläschchen?). Ich sage "ja, ich geb's dir nachher gleich" und versuche es nochmals "du, Remo...". Er seufzt und sagt endlich "i wott nümme sriibe" (ich will nicht mehr schreiben). Ich bestätige "du willst nicht malen". Remo sagt seufzend "nei", und nun stimme ich ihm zu "nein, du hast es ja schon gesagt, du hast recht" und schiebe die Zeichnung weg.
Während Remo mit grossem Interesse alle Tätigkeiten ausführt, meidet er das Malen in konsequenter Weise (vgl. auch die Szene 29.03). Remo kann seine Fähigkeiten bereits genau einschätzen, und das Malen genügt in keiner Weise seinen Ansprüchen. Er antizipiert diese Schwierigkeiten und vermeidet deshalb die entsprechende Tätigkeit.
Anouk will die Knete zerschneiden. Sie hält den Löffel in der Hand, macht damit eine Geste des Schneidens, schaut sich dann suchend um und fragt "is wo is Gab wo iss' Messe mia?" (wo ist Gabel wo ist Messer mir?). Ich sage "ja, schau da" und reiche ihr das Messer. Sie nimmt es in die rechte Hand, führt es zur Knetmasse und erklärt "sniide" (schneiden). Ich bestätige "musst du auch zerschneiden".Mit dem Messer macht Anouk Schneid-Bewegungen auf der Knetwurst; das Zerschneiden gelingt ihr aber noch nicht. Indem sie antizipierend sagt "schneiden", steht die sprachliche Aeusserung effektiv stellvertretend (repräsentativ) für die Realität des Schneidens (das noch nicht gelingt).
Leonie hat eine Uhr gefunden, welche ich nun dem Nilpferd anziehe. Sie betrachtet es und stellt mit leicht abschätziger Mimik fest "de schiled nämlich" (der schielt nämlich). Dann nimmt sie die Brille aus einer Schachtel. Ich antworte "er ah ja, dann zieh ihm doch die Brille an, in diesem Fall". Sie schaut sich die Brille genau an und fragt "is das dini Blüle hä?" (ist das deine Brille?), während sie diese vor die Augen hält und durchschaut. Ich bestätige "ehe, aber die kann man gut nehmen, sie ist zum Spielen". Sie betrachtet die Brille weiter und sagt dann "ähnlich". Ich verstehe nicht gleich und frage "he?"; sie wiederholt "ähnlich".Diese Szene zeigt deutlich, dass sich der Wortschatz von Leonie nicht nur auf das Benennen alltäglicher Gegenstände und Handlungen beschränkt, sondern ihren Beobachtungen entsprechend schon sehr differenziert ist. Dazu gehört nicht nur das Wort "schielen", sondern insbesondere auch der Ausdruck "ähnlich".
Das Nilpferd soll nun essen, und während ich es über die Hand stülpe, fragt Roberta "söll ich's dir echli vesniide?" (soll ich es dir ein wenig zerschneiden?). Ich sage mit hoher Stimme "oh, ja gern", und Roberta fragt weiter "iss' nochli z'gloss?" (ist es noch ein wenig zu gross). Ich bestätige "ist noch ein wenig zu gross, so kann ich es fast nicht essen". Roberta nimmt das Messer mit der linken Hand und beginnt die Knetwurst zu zerschneiden.Die Sequenzen von Roberta in diesem Alter zeigen eindrücklich, wie sie allen Tätigkeiten spontan eine symbolische Bedeutung gibt, indem sie diese in das übergeordnete Spielthema "Nilpferd-Kind" einbaut. Dies ist möglich, weil sie entsprechende Vorstellungen entwickelt hat; gleichzeitig kann sie die Handlungen selbst mit einer gewissen Leichtigkeit ausführen, so dass diese für sich genommen nicht mehr sehr viel Aufmerksamkeit erfordern.
Lynn hat eben dem Nilpferd zu trinken gegeben, stellt das Fläschchen ab und kommentiert undeutlich "... tunke" (...getrunken). Während sie den Deckel einer mit Wasser gefüllten Flasche aufschraubt, fährt sie fort und äussert ihre Absicht "...tinke" (...trinken). Dann nimmt sie das leere Fläschchen und scheint bereits zu antizipieren, dass das Umleeren schwierig sein könnte, weshalb sie mich anschaut und fragt "tuesch mir hälfe?" (tust du mir helfen?). Ich antworte "ehe wenn du willst" und während sie das Wasser eingiesst, sage ich "oh, du kannst das dann gut, super, da muss ich ja gar nicht helfen". Lynn stellt das neu gefüllte Fläschchen auf den Tisch und schraubt den Deckel der nun leeren Flasche zu.
Remo hät eine runde Form in der Hand und fügt sie in die Öffnung der Box ein. Gleichzeitig fragt er bezogen auf eine andere Form "und orange, mus au det ine?" (und orange, muss auch dort rein?); ich bestätige "ja". Er nimmt eine eckige Form in die eine Hand und fragt "und de?; ich antworte "auch". Bevor er den Würfel in die Öffnung fallen lässt, nimmt er mit der anderen Hand einen Zylinder und führt beide Formen kurz nacheinander ein. Er wiederholt "und de.." und schaut durch die Öffnung in die Box. Während er sich einen weiteren Würfel nimmt, fragt er "hätt's jetz mamal so en runde?" (hat es jetzt nochmals so einen runden?). Er führt den schmalen Würfel zu einer viereckigen Öffnung, probiert dort kurz, und ich antworte auf seine Frage "e- e, es hat keinen mehr". Er findet die passende Öffnung; ich bestätige "ja genau - gut", und er fragt weiter "und orange?".
Deutlich kann man in dieser Szene erkennen, dass sich Remo selbst die Aufgabe gestellt hat, die korrespondierenden Öffnungen zu antizipieren, was ihm auch bei fast allen Formen gelingt.