Sprachliche Entwicklung

Ereignisse/Situationen beschreiben [ab 24-30 Monaten]

Während sich die Prozesse bis zur Entdekkung der Sprache ganz auf die kognitivsymbolische und sozial-kommunikative Entwicklung abstützen, bekommt die Sprache ab dem dritten Lebensjahr ihrerseits eine grosse Bedeutung für die weitere kognitive und soziale Entwicklung. Das Kind gebraucht sie jetzt häufig, um Situationen und Ereignisse zu beschreiben und dadurch in seiner Welt Ordnung, Klarheit und Sicherheit zu schaffen; es führt bspw. die absurde Handlung des Kämmens mit der Schere aus, macht gleich anschliessend einen Schnitt und sagt dann ganz für sich selbst "schneiden", als ob es dadurch noch deutlicher würde, dass die Schere zum Schneiden bestimmt ist.



Roberta 20 Mte

Roberta einen aufziehbaren Frosch in der Hand, greift mit der anderen den Becher und sagt "ting" (trinken). Als sie den Frosch hinstellt, beginnt er zu hüpfen. Sie nimmt ihn in die Hand, lacht, schaut kurz zu mir und sagt "bumpe" (gumpe, ch.dt. für hüpfen). Ich bestätige "gumpen tut er, ja". Sie macht eine Drehbewegung, um den Frosch aufzuziehen und stellt ihn wieder auf den Tisch. Als er sich nicht bewegt, reicht sie ihn mir und sagt "nomeh" (noch mehr). Ich frage "noch mehr? zeig!" und stelle den Frosch auf den Tisch zurück. Sofort nimmt sie ihn wieder auf und wiederholt "bumpe?!". Das Wort "bumpe" hat Roberta eben während dieses Spiels entdeckt und repetiert es nun immer wieder aus Spass und gleichzeitig als Frage, ob es wirklich stimmt, dass diese Handlung als "gumpe" bezeichnet wird.Auf der Lautebene ist eine Assimilation an die erste Artikulationsstelle ("G" an "P") zu beobachten.



Roberta 22 Mte

Roberta zeigt auf den unteren Teil der Zeichnung des Autos und äussert die Absicht "siibe". Ich wiederhole "da schreiben?" und male Striche, die ich kommentiere "da ist die Strasse ehm-ehm". Sie schaut sich das Bild an, zeigt dann plötzlich zum Fenster und sagt "do Auto". Ich bestätige "ja, dort draussen ist es". Sie schaut wieder auf das Papier, zeigt auf die Abbildung und wiederholt "do eis Auto fahle bebe fahle". Ich bestätige "ja, fahren tut es" und führe nun die Geste des Steuerns mit den Fahrgeräuschen "brr-brr" aus. Sie schaut mich an, und wir lachen gemeinsam.Diese Szene stellt sozusagen die Begriffsbildung "life" dar. Roberta schaut sich das gemalte Auto an, und plötzlich ist ihr klar, dass es draussen auf der Strasse auch solche gibt. Diese Entdeckung kommentiert sie nun sprachlich, wobei sie über die Interaktion ihr Verständnis kontrolliert: 'es ist doch so, wie ich sage hier ein Auto, dort ein Auto?'.



Remo 29 Mte

Remo hält eine runde Form in der Hand, steckt sie kurz in die viereckige und dann gleich in die runde Öffnung. Ich reiche ihm eine weitere runde Form; er nimmt sie, und während er sie in die korrespondierende Öffnung einführt, fragt er "wo is de dine - da?" (wo ist der drin - da?). Ich bestätige "ja genau, hei, du bist dann gut" und reiche ihm eine viereckige Form. Er steckt sie in die passende Öffnung und wiederholt dabei die Frage "wo is de dine?"; ich antworte "da", während die Form bereits drin ist. Ich kommentiere "hei, der Remo!" und gebe ihm eine rechteckige Form, welche er direkt in die korrespondierende Öffnung einführt; dazu sagt er selbst "da" und ich bestätige "ja".

Deutlich ist hier zu beobachten, dass für Remo nicht das Ausprobieren im Vordergrund steht, sondern dass er sich die Aufgabe stellt, die zu den Formen passenden Öffnungen zu antizipieren, was ihm auch gelingt. Die Frage "wo ist der drin?" ist dabei nicht wirklich an mich gerichtet, sondern sie definiert die Aufgabe und unterstützt so gleichzeitig seine Tätigkeit. Die Funktion der sprachlichen Äusserung liegt damit im Beschreiben/Definieren einer Situation.



Lynn 29 Mte

Lynn schaut in den Spiegel und legt diesen nun auf den Tisch. Ich sage "du, und jetzt tust du ihm noch mit der Schere etwas zu essen geben?". Lynn bejaht "ja", greift zur Schere, sagt "da?" und schaut mich fragend an. Sie führt die Schere in das Maul des Nilpferdes, und ich mache "amamam". Sie zieht sich zurück, nimmt die Schere mit beiden Händen und sagt betont "sniide" (schneiden), während sie die Schere einmal öffnet und schliesst.Lynn zeigt hier, dass sie die absurde Aufforderung, mit der Schere zu essen geben, verstanden hat, und führt sie aus, betont aber gleich anschliessend, dass es keinen Zweifel darüber gibt, dass die Schere zum Schneiden da ist. Diese Reaktion auf eine absurde Aufforderung ist sehr typisch; hat das Kind Vertrauen in den Erwachsenen und in die Sprache, führt es die Handlung aus, hat dann aber das Bedürfnis, sich selbst und dem Anderen zu sagen, dass diese Handlung nicht passend ist. Auf diese Weise kann es die Welt sozusagen wieder in Ordnung zu bringen.



Anouk 30 Mte

Anouk kämmt die Puppe mit der Bürste, nimmt dann spontan den Spiegel, und während sie ihn der Puppe hinhält, kommentiert sie "luege" (schauen). Dann schaut sie mich an, und ich sage anstelle der Puppe "oh, jetzt bin ich aber eine schöne, du jetzt freue ich mich aber, wenn Maja kommt". Anouk lächelt, bestätigt "ja" und führt das Spiel weiter. Sie sagt "Bett slafe chumm Bette" (Bett schlafen komm Bett), nimmt die Puppe, legt sie ins Bett und verabschiedet sich "tsau-au".Diese Sequenz zeigt sehr deutlich die Charakteristik des linearen Symbolspiels, in dem sich jede Handlung aus der vorherigen entwickelt. Gut ist hier auch zu sehen, wie die Handlungen durch die Sprache geleitet und unterstützt werden, als ob dadurch ihre symbolische Bedeutung noch klarer würden.



Leonie 33 Mte

Ich habe Leonie gesagt, sie könne mit der Schere ein Stück Klebstreifen abschneiden. Offensichtlich hat sie mich nicht ganz verstanden, denn sie nimmt die Schere und versucht, das Papier entzweizuschneiden, worauf sie mich mit ungläubiger Miene anschaut und fragt "das da abschniide?". Ich bestätige undeutlich "ja, oder den Klebstreifen da". Sie versucht dennoch, das Papier zu schneiden, legt die Schere dann aber hin und sagt "das chan ich nöd" (das kann ich nicht). Ich halte ihr den Klebstreifen hin und entgegne "doch, da schau, das kannst du schneiden, einen Kleber abschneiden". Sofort nimmt sie die Schere wieder auf, bestätigt lächelnd "ja, Chläbi", schneidet das Klebband durch und sagt dann voller Zufriedenheit "das mach ich!".Bei dieser Szene kann man gut beobachten, wie genau Leonie ihre Fähigkeiten einschätzen und dies auch sprachlich ausdrükken kann.



Lynn 38 Mte

Ich reiche Lynn eine viereckige Form und sage "so, der noch". Sie nimmt sie, behält sie jedoch in der Hand und betrachtet die verschiedenen Oeffnungen. Dazu äussert sie in singendem Tonfall "wo chunnt de hii?" (wo kommt der hin?). Ich antworte in der selben Weise "der würde ich sagen..., wo meinst du?". Entschlossen führt sie die Form zur passenden Oeffnung und sagt "da", und ich bestätige "ja, genau heieiei!". Ich reiche ihr eine runde Form, welche sie nimmt und erst in ein falsches Loch steckt, dann sofort zum richtigen wechselt, während sie im gleichen Tonfall kommentiert "de chunnt de da!" (der kommt dahin). Dann schnappt sie sich eine andere viereckige Form, hält wieder inne, sagt "chunnt de hii?", und während sie die Form in die korrespondierende Oeffnung einführt, sage ich "de chunnt da!". Sie stimmt mit ein "da!" und nimmt sich eine neue Form. Die Haltung von Lynn sowie ihr sprachlicher Kommentar zeigen deutlich, dass der Reiz des Spiels nicht im Ausprobieren besteht, sondern darin, die korrespondierende Oeffnung zu antizipieren. Für die Erfassung des Entwicklungsstandes beim Spiel mit der Formbox scheint es uns interessanter, die Haltung gegenüber der Aufgabe zu beobachten, als zu beurteilen, wieviele Formen effektiv direkt bzw. über Versuch/Irrtum eingeführt werden.



Remo 38 Mte

Remo zieht das mechanische Spielzeug auf, und ich frage, auf die Spielszene bezogen "der Pingu muss wieder heim?". Er antwortet "ja" und erklärt "de musme ebe hebe bim ufzieh" (den muss man eben halten beim Aufziehen). Als er das Spielzeug fertig aufgezogen hat, stellt er es in die Nähe der Schienen und erklärt "ich ha ebe 's Müsli" (ich habe eben ein Mäuschen). Dann lässt er den Pingu laufen, und ich kommentiere "so aber siehst du, der geht zum Zug und sagt 'ich will einsteigen'". Remo dreht den Pingu vom Zug weg und sagt "nei". Ich frage "nicht?", und er wiederholt "nei".Interessant scheint mir bei all diesen Szenen zum praktisch-gnostischen Bereich (Brio-Bahn, Formbox, mechanisches Spielzeug), wie durch die Sprache die Dezentrierung erkennbar wird: im Zentrum steht nicht mehr die Handlung als solche, sondern das Darüber-Sprechen, d.h. wie die Handlung ausgeführt werden soll, wie die Dinge funktionieren und welche Eigenschaften sie haben.