Sprachliche Entwicklung

Direkte sprachliche Repetitionen [ab 12-15 Monaten]

Im Alter zwischen 12-15 Monaten beginnen sich die Kinder dafür zu interessieren, was die Erwachsenen tun und sind gleichzeitig auch fähig, erste Handlungsabläufe so zu planen und koordinieren, dass sie einfache Bewegungen direkt nachahmen können. Ueber den triangulären Blickkontakt, das Geben und Zeigen entwickeln sie in der gleichen Zeit ein erstes Sprachverständnis und mit etwa 15 Monaten beginnen sie, bestimmte Wörter spontan zu repetieren; anfangs sind es vor allem Lautmalereien wie "gaga" oder "nina-nana", dann auch Namen und zwischen 18-24 Monaten eigentlich alle Arten von Inhaltswörtern. Für die Entwicklung des Sprachverständnisses hat diese direkte sprachliche Repetition eine grosse Bedeutung. In der ersten Hälfte des zweiten Lebensjahres kann das Kind noch keine Vorstellungen aufbauen, d.h. es kann die Sprache nur verstehen, wenn es entsprechend handelt. Nun ist auch das Sprechen eine Handlung, d.h. das Kind gibt dem Wort Bedeutung, indem es dieses repetiert. Gerade beim Bilderbuch-Schauen wird sehr deutlich, dass die Bilder eigentlich erst dann lebendig werden, wenn es die Namen selbst ausspricht. Auch noch nach dem Alter von 18 Monaten kann man beobachten, dass das Kind neue, unbekannte Wörter oder Sätze direkt repetiert, um auf diese Weise deren Bedeutung richtig zu erfassen. Aus kommunikativer Sicht beinhaltet die direkte sprachliche Nachahmung eigentlich immer die Frage: hast du es so gesagt? habe ich dich richtig verstanden? Die direkte Repetition stellt damit eine der frühesten Formen der sprachlichen Kommunikation dar.



Anouk 14 Mte

Ich habe das Nilpferd in den Korb gelegt, wiege diesen hin und her und summe "ninna-nanna, ninna-nanna". Dann sage ich "tschau, schlaf gut" und gebe dem Tier einen Gutenacht-Kuss. Anouk schaut zu und beugt sich dann auch über das Tier, um die Geste nachzuahmen. Ich kommentiere "oh, lieber" und mit etwas abrupten Bewegungen versucht sie nun auch, den Korb zu wiegen. Dazu wiederholt sie die Lautmalereien "nina-nee" und wendet sich dann sofort ab.In dieser Szene kann man gut beobachten, dass ich zwar das Tier symbolisch schlafen lege, dass die Nachahmung von Anouk aber die Qualität einer funktionalen Handlung hat. Anouk scheint bei meiner Handlung etwas wiederzuerkennen, das ihr bekannt vorkommt. Deshalb ist sie interessiert und ahmt meine Tätigkeit nach. Dabei steht aber noch ganz ihr eigenes Tun im Vordergrund, d.h. Anouk schaut nicht nach dem Tier und stellt sich vor, wie dieses nun schläft.



Caroline 16 Mte

Caroline ist damit beschäftigt, Knete von einem Gefäss in ein anderes zu füllen. Ich blättere die erste Seite des Bilderbuches um; sie schaut auf und macht "oi". Ich wiederhole "oi" und äussere ein Grunzen zum abgebildeten Schwein. Sie imitiert "ch", und ich bestätige "ch-ch". Sie wendet sich wieder der Pfanne zu; ich blättere eine Seite um mache "bäh" zur Abbildung eines Schafes. Sie schaut kurz auf und wiederholt ohne auf das Bild zu schauen "bäh". Ich bestätige "bäh", blättere um und frage "und wer ist denn da?". Sie schaut auf das Bild, und ich mache "gaggagga". Sie schaut mich an, lächelt und mit hoher Stimme imitiert sie "geggegg"; und wieder bestätige ich "gaggaggagg".



Luca 16 Mte

Luca blättert im Bilderbuch; beim Pferd äussert er kurz den Laut "ca?". Ich kommentiere "uh, il cavallo come fa il cavallo?" (uh, das Pferd wie macht das Pferd?) und mache gleichzeitig ein Schnalzgeräusch sowie die Bewegung des Reitens. Dadurch wird die Aufmerksamkeit von Luca wieder zum Buch gelenkt und während er weiterblättert imitiert er das Schnalzen sowie die Bewegung, wobei sich ein Lächeln auf seinem Mund abzeichnet.



Roberta 22 Mte

Roberta führt Formen in die Formbox ein, indem sie jede Oeffnung ausprobiert und sie schliesslich in die korrekte gleiten lässt. Das Spiel wird durch die sprachliche Interaktion unterstützt und gleichzeitig mitbestimmt, indem sie jeweils bei jedem Loch "da?" fragt und ich mit hoher Stimme "nein" oder "ja" antworte. Wenn die Form in die Oeffnung fällt, kommentiere ich dies mit "pum!", was sie sofort wiederholt.Interessant ist hier die Beobachtung, dass es ihr offensichtlich Spass macht, sich ganz durch die Sprache leiten zu lassen. So kann sie sich jeweils fast nicht dazu entschliessen, die Form wirklich ins Loch fallen zu lassen. Auch sucht sie hier im Gegensatz zu allen anderen Szenen keinen Blickkontakt. Genau in dem Sinne, wie die "da?"Wörter die Handlungen bestimmen und leiten, handelt es sich um echte Fragen und damit auch um Einwortsätze.



Lynn 38 Mte

Lynn hält den Hörer am Ohr und drückt auf die verschiedenen Knöpfe des Telefons. Ich sage "hallo, ist da der Piri?" (der Name ihres Vaters). Sie antwortet "hoi" und ich sage "hoi, du wann kommst du heute nach Hause?". Lynn schaut vor sich hin, kratzt sich an der Nase und fragt etwas verlegen "jetzt?". Ich ergänze "kommst du zum Nachtessen?", und sie antwortet unsicher "ja". Ich sage "ah ja, ah ist gut musst du noch viel schaffen?". Wieder kratzt sie sich an der Nase, wiederholt leise "vill saffe nei" und schaut mich ungläubig lächelnd an.Ich interpretiere diese Szene so, dass ich Lynn verunsichert habe, als ich sie mit dem Namen ihres Vaters angesprochen habe. Beim Schule-Spielen zeigt sie deutlich, dass sie ganze Szenen gemäss einer inneren Vorstellung spielen kann. Dabei werden jedoch nicht eigentliche "Rollen" verteilt, gemäss denen dann gespielt werden soll. Aufgrund der Beobachtung in dieser Szene gehe ich davon aus, dass sie zwar eine Ahnung von der Spielidee hat, die Rolle einer anderen Person aber noch nicht übernehmen kann. Gut beobachten lässt sich in dieser Szene auch, wie eng das Sprachverständnis mit der Vorstellung verknüpft ist. In der realen Telefon-Situation kann sie die gleichen Sätze sicher verstehen und darauf antworten; hier kann sie zu denselben Wörtern keine passende Vorstellung aufbauen. Als Lösung repetiert sie meine Aeusserungen und versucht auf diese Weise, ihrer "habhaft" zu werden.