Sprachliche Entwicklung

Absichten und Gefühle sprachlich ausdrücken [ab 18-24 Monaten]

Mitte des zweiten Lebensjahres entdeckt das Kind, dass seine Wörter auch verstanden werden, und gleichzeitig erlebt es sich als kleine Person mit eigenen Bedürfnissen. So beginnt es zwischen 18-24 Monaten, die Wörter direkt an den Anderen zu richten und ihm so seine Absichten und Gefühle mitzuteilen.



Nadine 18 Mte

Ich zeige Nadine ein Bilderbuch und frage "und wer ist denn da noch?" Nadine wendet sich mir zu und sagt "ha" (haben). Ich fahre fort "der wauwau?"; sie schaut das Bild an, greift dann das Bilderbuch, und während sie es schliesst, sagt sie "Mama, Mama, Mama". Dabei schaut sie mich an, und ich frage "Mama?". Sie nickt, und ich frage "aja, und ich kann nicht erzählen?". Sie schüttelt den Kopf, sagt "ne"; ich bestätige "die Mama muss erzählen?", während Nadine das Buch der Mutter bringt.



Roberta 20 Mte

Roberta legt dem Nilpferd eine Knetwursthin und zieht die Hände zurück. Dann entdeckt sie eine weitere Wurst, ruft "nomeh!" und legt auch diese dem Tier vor die Nase. Während das Nilpferd noch daran ist, die erste Wurst zu essen, weist sie mit dem Zeigefinger auf die zweite hin, ruft nochmals "nomeh!" und wieder zieht sie die Arme zurück. Ich nehme die zweite Wurst, sage "danke" und mache in Essgeräusch. Roberta lacht und schaut mich kurz an. Dann nimmt sie die Flasche und sagt "tinte" (trinken). In dieser Sequenz wird sehr deutlich, dass nicht das Füttern, sondern das Resultat, nämlich das essende Tier im Mittelpunkt steht. Diese Form der Dezentrierung wird durch das Zurücknehmen der Arme noch verstärkt und auch dadurch, dass sie ihren sprachlichen Wunsch (noch mehr) nicht an mich, sondern an das Tier richtet und noch durch Zeigen unterstützt. Wie in der zweiten Sequenz kontrolliert sie meine Reaktion über den referentiellen Blickkontakt, fügt eine weitere Handlung hinzu und antizipiert deren Resultat durch das Wort "tinte" (trinken).Auf der phonetisch-phonologischen Ebene ist hier eine Assimilation des Lautes "K" an den Laut "T" zu beobachten.



Roberta 22 Mte

Roberta nimmt das Telefon, wendet sich mir zu und äussert ihre Absicht: "meh telefonee". Dann hält sie den Hörer dem Nilpferd ans Ohr und sagt "hoi, hoi, Papa". Ich antworte "hoi, hoi, Papa, ich bin der Niili! Kommst du bald heim Papa?". Sie schaut das Nilpferd an und wendet sich dem Regal zu, während sie meine Aeusserung wiederholt "Papa hei".Diese Szene zeigt nun deutlich die Dezentrierung im Symbolspiel, d.h. die Möglichkeit, das Nilpferd als aktives, telefonierendes Wesen darzustellen.



Marina 25 Mte

Ich habe einen Vogel und ein Auto gemalt und ergänze die Zeichnung nun mit einer Mensch-Figur. Marina schaut zu, zeigt und fragt "was ist da?". Ich schiebe ihr die Zeichnung hin und erkläre "das ist Marina". Sie fordert mich auf "nameh" (noch mehr); ich male der Figur einen Arm und kommentiere "da tut sie winken und (ruf-) sagt 'tschüss, ich gehe nach Winterthur'". Um die Worte zu untermalen winke ich kurz und fahre fort "tschüss zäme und das Vögeli sagt 'ich komme auch mit'". Marina lächelt, schaut kurz zu mir auf, weist dann wieder auf die Zeichnung hin und verlangt "nameh zeichne". Ich frage "noch mehr? ja, wer kommt dann wohl noch mit?". Fragend schaut sie zu mir.Diese Szene zeigt sehr schön, wie interessiert Marina dem Entstehen einer Zeichnung zuschaut und den entsprechenden sprachlichen Kommentaren zuhört. Ihre Haltung, der Blick wie auch ihre Wörter weisen darauf hin, dass sie aufgrund der Bilder und der sprachlichen Aeusserungen erste Vorstellungen aufbauen kann.Interessant ist auch, wie sie am Schluss ihre Forderung "noch mehr" ergänzt mit "zeichne", um ganz genau auszudrücken, was sie will.



Lynn 29 Mte

Ich sage "so, tun wir dich ins Bett", und Lynn bestätigt "ine" (hinein). Ich lege das Nilpferd ins Bett; sie legt ein Stück Knete auf den Tisch, sagt "so" und setzt sich dann auf den Stuhl. Ich kommentiere "zudecken", und Lynn ergänzt sofort "singe". Ich wiederhole "singe" und beginne, ein kleines Schlaflied zu singen. Lynn sitzt da, den Kopf auf die Hand gestützt, und hört für kurze Zeit zu. Dann unterbricht sie und ruft "fetti laafe" (fertig schlafen), holt das Tier aus dem Bett und reicht es mir mit der Absicht, das Spiel des Fütterns (und Ausspuckens) wieder aufzunehmen.Hier kann man gut das Typische des linearen Symbolspiel beobachten: zu Beginn der Szene hat Lynn noch keine Vorstellung des ganzen Ablaufes; indem sie jedoch den einzelnen Ereignissen eine symbolische Bedeutung gibt, kann sie auch den nächsten Handlungsschritt spontan ausführen, so dass eine echte Sequenz entsteht.



Remo 29 Mte

Remo hält ein Stück Knetmasse in der Hand, welches er dem Nilpferd zu essen geben will. Während ich mit dem Arm in das HandpuppenTier schlüpfe, frage ich "will er wohl noch ein wenig, wollen wir mal probieren?". Remo streckt dem Tier die Knete hin und hält dabei seinen Mund in Antizipation der Handlung bereits geöffnet. Statt die Knete in das Maul zu nehmen, führe ich die Geste des Ausspuckens aus; Remo lacht laut, streckt die Knete aber weiter hin. Ich wiederhole das Ausspucken und sage dann zum Tier "also Niili, du bist einer, ein Grüsel doch nicht das Essen ausspucken, he!". Remo schaut das Nilfpferd und dann mich an, zieht seinen Arm zurück, schaut zum Kochherd und sagt dann in vorwurfsvollem Ton "ch' han extra g'chochet" (ich habe extra gekocht).



Anouk 30 Mte

Anouk hält eine Decke in der Hand, schaut mich an und erklärt "de au slafe". Ich bestätige "der muss auch noch ein wenig schlafen genau". Sie deckt das Tier zu und verabschiedet sich "tschau". Ich sage mit hoher Stimme "tschüss" und frage dann "sollen wir noch ein wenig singen -he?". Anouk schaut mich an und nickt erwartungsvoll. Ich sage nochmals "tschüss", singe leise "ich höre ein Glöcklein, das läutet so nett" und verabschiede mich "tschau Niili, schlaf gut!". Anouk hat zugehört und zwischendurch kurz den Blickkontakt zu ihrer Freundin Maja gesucht. Als ich beende, schaut sie kurz zum Puppenwagen, nimmt dann den Korb mit dem Niili und erklärt "gömme gäll, poste" (gehen wir, gell, einkaufen).Wie in der zweiten Szene ist auch hier die Linearität des Symbolspiels zu beobachten: noch hat sie keine übergeordnete Vorstellung des ganzen Handlungsablaufes, sondern eine Handlung entsteht sozusagen als Folge der vorherigen.



Roberta 37 Mte

Wir haben die Brio-Bahn aufgebaut; ich lasse das Nilpferd auf dem Zug fahren und sage "so, jetzt steige ich schon aus, ich gehe hier zur Schule tschüss". Roberta grüsst "tschüss", und ich sage "danke, dass ich fahren konnte". Sie sagt "bitte" und führt den Zug den Schienen entlang weiter. Dazwischen schaut sie kurz auf, und als der Zug am Ende angelangt ist, schaut sie mich an und sagt "me chönnti me chönnti ja no e Suel mache füe de Niili?" (man könnte ja noch eine Schule machen für den Niili?). Ich antworte "ehe, könnte man".Eine ganz zentrale Bedeutung der Sprache verdeutlicht diese letzte Szene von Roberta: die Freiheit, aus verschiedenen Möglichkeiten zu wählen: man könnte...



Remo 38 Mte

Remo schaut das Bilderbuch mit den aufklappbaren Bildteilen an. Er weist auf eine Klappe hin und sagt "da mönd's zue slüsse" (da müssen sie zuschliessen). Ich sage "ja, am besten tust du einen Klebstreifen drauf, damit es richtig zu ist". Er bestätigt "da mömmer e Chläbi ane mache" (da müssen wir einen Klebstreifen hinmachen). Ich sage "ich gebe dir hier eines, da kannst du es richtig hinmachen" und reiche ihm ein Stück Klebband. Remo wendet sich Volker zu, der am Filmen ist, und erklärt "da, da s' gaht immer uf, isch nämli en Leu dinne, da-da mömmer es Chläbi heremache, weis" (das geht immer auf, da ist nämlich ein Löwe drin, da müssen wir ein Klebband hinmachen, weisst du). Dann nimmt er das Band und klebt es über die Nahtstelle.



Lynn 38 Mte

Ich hebe den Arm des Bären und kommentiere "meiner streckt auf und sagt..". In hohem Tonfall fahre ich fort "ich weiss etwas... Frau Lehrerin, kann ich jetzt wieder heim?". Lynn schaut mir zu, lächelt und antwortet "ja". Dann schaut sie zur Bahn, sagt "de au zesch dä" (der auch zuerst der), setzt das Nilpferd symbolisch auf die Wagen und fährt mit ihm, wobei sie dies lautlich begleitet mit "gsu-gsu-gsu". Ich stimme ein "tschuftschuf-tschuf".Lynn zeigt hier, dass sie bereits ein Spiel planen kann, in welches sie auch mich einbezieht. Sie hört ganz konzentriert zu, was "mein" Bär sagt, nimmt den Vorschlag zum weiteren Spielverlauf sofort auf und realisiert ihn gemäss dem früheren Spielplan: die Tiere sind mit dem Zug gekommen und gehen deshalb auch wieder damit nach Hause.