Sozial-Kommunikative Entwicklung

Ich-Sagen [ab 30-36 Monaten]

Das Wort "Ich" ist insofern ein ganz spezielles Wort, als es als einziges nicht über die direkte Nachahmung erworben werden kann. Denn wenn du "ich" sagst, bist du "du" für mich und wenn ich "du" sage, bist du "ich" für dich. Das Wort "Ich" ist auch das einzige Wort, welches aus der Sicht des Sprechenden nur zu einem einzigen Objekt in dieser Welt passt, nämlich zu sich selbst. Um von sich selbst als "Ich" zu sprechen, braucht es also auch ein bisschen Mut; es darf kein Zweifel mehr bestehen über meine Eigenständigkeit, sondern ich sollte mich über meine Unabhängikeit und Freiheit freuen: die Roberta bin ich für Dich genauso wie für mich; "Ich" aber bin ich nur für mich selbst. Spontan beginnt das Kind deshalb erst im Alter von 30-36 Monaten "Ich" zu sagen.



Remo 29 Mte

Remo hält seine Hand dem Nilpferd hin. Ich streichle mit dem Maul leicht seine Hand und sage "hoi Remo, ich bin der Niili". Er lächelt und antwortet "ja..". Ich wiederhole "hoi" und füge hinzu "du, gibst du mir mal ein Würstchen zum Essen?". Remo schaut zum Kochherd, dann hält er seine Hand wieder dem Tier hin und antwortet "ja, ich gibe dir mal es Würstli". Das Maul berührt leicht die Hand von Remo, und ich sage "oh, das ist lässig, gibst du mir eines, ich glaube im Ofen drin hat es noch, oder?". Sofort schaut Remo in den Backofen des Kochherdes und streckt dann seine Hand hinein, um die Wurst rauszunehmen.

Gut kann man hier beobachten, wie Remo die Beschreibung, wo die Würste sind, sofort versteht und entsprechend handelt. Speziell sind hier auch Inhalt und Form der sprachlichen Äusserung. Vom Kontext her könnte Remo auf meine Frage nach dem Würstli einfach mit "ja" antworten. Er wiederholt aber die ganze Äusserung und scheint sich dabei auch spezielle Mühe beim Sprechen zu geben: es ist, als ob er betonen wollte, dass er zum Nilpferd spricht und es als echten Spielpartner betrachtet. Man könnte deshalb sagen, dass das Symbolische hier weniger in der Handlung, als direkt in der Sprache zu beobachten ist.



Anouk 30 Mte

Wir haben mit zwei aufziehbaren Spieltierchen gespielt; dabei ist das eine runtergefallen, und ich habe erklärt, dass es vom anderen gestossen wurde. Anouk hat das eine Tier wieder aufzuziehen versucht, um das Spiel zu wiederholen. Die Szene beginnt, als sie es hinstellt, doch es bewegt sich nicht. Sie nimmt das andere und erklärt "ich mach das". Ich bestätige "du nimmst den, genau". Sie zieht es auf und lässt es laufen. Ich tue dasselbe mit dem anderen Tier. Sie macht eine Geste mit der Hand, schaut mich zwischendurch erwartungsvoll an und sagt "gheit abe" (fällt runter). Dann schnappt sie sich das Tier, lässt es wieder laufen und wiederholt "gheit abe gäll" (fällt runter -gell). Ich mache "oh!"; sie stellt das Tier weg und erklärt "deffe nöd" (darf er nicht), und ich füge hinzu "der stösst ihn". Hier kann man gut die Tendenz erkennen, den Tätigkeiten eine symbolische Bedeutung zu geben. Das Aufziehen allein ist nicht mehr interessant genug, weshalb Anouk meine Deutung des "Einander-Umstossens" sofort aufnimmt und weiterführt.Interessant ist hier auch, dass sie erstmals von sich selbst mit "ich" spricht und dabei gleichzeitig die Verb-Zweitstellung auftritt ('ich mach das' im Gegensatz zu 'das mache'). Es ist sicher nicht zufällig, dass sie dies genau in einer Situation sagt, wo es speziell wichtig ist, dass sie macht, d.h. wo sowohl die Person wie die Tätigkeit im Zentrum stehen.



Leonie 33 Mte

Mit der tiefen Stimme des Nilpferdes frage ich "du, und jetzt von diesen Kartoffeln, kann ich noch ein wenig haben?". Leonie schaut abwechselnd mich und das Tier an und antwortet sofort "nei, ich mues na die bache, dänn chasch scho ässe" (nein, ich muss diese noch backen, dann kannst du schon essen). Deutlich wird hier die enge Verbindung des Symbolspiels zum Sprachverständnis, d.h. Leonie kann meine Frage nach den Kartoffeln unter anderem deshalb verstehen, weil sie dem Resultat ihres Knetens wirklich die Bedeutung "Kartoffeln" gegeben hat. Schliesslich zeigt ihre Antwort auch, dass sie einen symbolischen Handlungsablauf planen und gleichzeitig ihre Vorstellungen auch sprachlich ausdrücken kann.



Roberta 37 Mte

Roberta hat ein Blatt Papier vor sich; ich sage "so, schau jetzt Niili, jetzt darfst du noch etwas malen", und Roberta fügt sofort hinzu "soll ich öppis für dich male?" (soll ich etwas für dich malen?). Ich antworte "oh ja!"; sie bestätigt "guet", nimmt einen gelben Stift und fragt " wotts gäl?" (willst du gelb?). Ich antworte "ehe eine Sonne machst du eine Sonne?". Roberta sagt "ich mach öppis söns" (ich mache etwas schönes); ich bestätige "oh ja". Sie nimmt den Malstift im Erwachsenengriff in die linke Hand und malt einen grossen Kreis. Ich sage "zeig mal" und dann bewundernd "das ist dann schön!".



Lynn 38 Mte

Wir spielen Schule, und ich habe Lynn gefragt, ob sie mir helfen könne, bei einem von mir gemalten Auto die Räder zu ergänzen. Sie hält den Filzstift im Erwachsenengriff in der rechten Hand und malt das erste Rad mit zirkulären Kritzeleien aus. Dann sagt sie "so is guet" (so ist gut), wendet sich dem hinteren Rad zu, kommentiert "und hine au" (und hinten auch) und malt auch dieses Rad. Ich frage "und die Strasse?"; Lynn lehnt sich etwas zurück, wiederholt "d' Strass?" und ergänzt "hani so gmacht" (habe ich schon gemacht), wobei sie mich direkt anschaut. Ich wiederhole "hast du schon gemacht"; sie nickt, und während ich die Zeichnung wieder zu mir nehme, frage ich "meinst du, dass ich das so abgeben kann, der Lehrerin?"; sie antwortet "ja". Wir widmen uns beide unseren Zeichnungen, und ich murmle etwas unverständliches; Lynn macht einen Strich, schaut kurz auf und erinnert mich an unser Thema "Ufgabe, gäll" (Aufgaben, gell). Dann rückt sie sich demonstrativ zurecht, stützt den Kopf auf den Ellbogen und konzentriert sich auf ihr Blatt Papier.Interessant ist hier, wie Lynn auf meine Frage nach der Strasse reagiert. Sicher hat sie die Vorstellung einer Strasse, scheint jedoch wie Remo nicht genau zu wissen, wie diese realisiert werden könnte. Während Remo sagt, das Auto fahre ohne Strasse, löst Lynn das Problem, indem sie behauptet, sie hätte die Strasse schon gemacht. Natürlich weiss sie, dass dies nicht stimmt; im Rahmen unseres Spiels ist es aber durchaus legitim, dass sie sich das vorstellt, d.h. tut als ob es so wäre. In beiden Szenen zeigt sich damit sehr eindrücklich die Bedeutung der Sprache für die spielerische Lösung von Konfliktsituationen.



Remo 38 Mte

Remo ist mit der Kasse beschäftigt, und ich frage ihn "du, tust du mal mit dem Filzstift telefonieren?". Er überlegt kurz und sagt dann "nei chani nöd" (nein, das kann ich nicht). Ich wiederhole "das kannst du nicht?", und er bestätigt "nei". Ich nehme den Filzstift und sage "du musst mal schauen, ich zeige es dir". Ich halte den Stift zum Ohr und tue, als ob ich telefonieren würde; dazu sag ich "ja, hallo, wer ist da? ist der Remo da?". Remo schaut mir skeptisch zu und antwortet dann nochmals "nei...".Diese Szene zeigt praktisch "life", wie sich Remo meine Aufforderung vorzustellen versucht, um sie dann als das zurückzuweisen, was sie ist: absurd.