Durch die aktiven Auseinandersetzungen mit der Bezugsperson in der Phase der Loslösung wird das Kind nun häufig mit dem Wort "nein" konfrontiert. Dieses Wort erlebt es zwar als Einschränkung, gleichzeitig entdeckt es aber auch dessen spezielle Faszination,weshalb es zwischen 15-18 Monaten auch selbst beginnt, "nein" zu sagen. Wie in einem Sprachspiel beantwortet es in dieser Phase oft jede Frage oder Aufforderung unabhängig von deren Inhalt mit "nein". Denn solange das Kind eine Aeusserung nur verstehen kann, wenn es die entsprechende Handlung auch ausführt, ist ein "Nein-Sagen" als Ablehnung einer sprachlichen Aufforderung noch nicht möglich. Erst wenn es zwischen 18 und 24 Monaten beginnt, aufgrund der Wörter Vorstellungen aufzubauen, kann es einen Satz auch wirklich durch Nein-Sagen zurückweisen.
Nadine hält eine runde Form in der rechten Hand und führt diese lächelnd in die entsprechende Oeffnung ein. Ich sage "oih, schon drin!". Sie nimmt je einen Würfel in die rechte und linke Hand und versucht zuerst, denjenigen in der rechten einzuführen. Ich zeige ihr die passende Oeffnung und sage "den musst du da.."; doch nun versucht sie es mit dem Würfel in der linken Hand, welcher nicht passt. Ich lächle, sage "nein, den da.." und zeige ihr die Oeffnung. Als es nicht gelingt, drehe ich den Würfel selbst und erkläre "fest drehen"; als er reinpasst, rufe ich "hoppela!". Jetzt versucht es Nadine noch mit dem Würfel, den sie in der rechten Hand hält; ich helfe ihr und rufe "den da.. hoppela!". Sofort lege ich ihr eine runde Form in die Nähe, doch sie sagt "nei", nimmt die Hände zurück und schüttelt den Kopf. Ich frage "nicht mehr?", und sie bestätigt "e-e".In dieser Szene kann man gut erkennen, dass Nadine sich eine Aufgabe gestellt hat, auf das Resultat achtet und deshalb ihre Schwierigkeiten auch realisiert. Gleichzeitig ist sie aber auch fähig, die Handlung spontan zu beenden, indem sie diese mit "nein" zurückzuweist.
Ich zeige auf die Stelle der Zeichnung eines Autos, wo das Rad fehlt und sage "machen wir das noch rasch". Remo schaut kurz hin, stochert mit dem Messer in der Knete und legt den Trichter auf den Tisch. Ich insistiere "nur schnell" und halte ihm den Malstift hin. Remo tut, als ob er nichts gehört hätte, schaut auf dem Tisch umher und fragt "wo is' Flässli?" (wo ist das Fläschchen?). Ich sage "ja, ich geb's dir nachher gleich" und versuche es nochmals "du, Remo...". Er seufzt und sagt endlich "i wott nümme sriibe" (ich will nicht mehr schreiben). Ich bestätige "du willst nicht malen". Remo sagt seufzend "nei", und nun stimme ich ihm zu "nein, du hast es ja schon gesagt, du hast recht" und schiebe die Zeichnung weg.
Während Remo mit grossem Interesse alle Tätigkeiten ausführt, meidet er das Malen in konsequenter Weise (vgl. auch die Szene 29.03). Remo kann seine Fähigkeiten bereits genau einschätzen, und das Malen genügt in keiner Weise seinen Ansprüchen. Er antizipiert diese Schwierigkeiten und vermeidet deshalb die entsprechende Tätigkeit.
Anouk wollte das Nilpferd füttern, doch dessen Mund blieb geschlossen. Nun legt sie die Knete auf den Teller, und ich sage "will er es doch nicht essen". Sie hält den Teller in die Nähe seines Mauls und macht selbst eine kleine Ess-Bewegung mit dem Mund. Dann zieht sie den Teller zurück, schaut mich an und sagt "nöd gän?" (nicht gerne?). Ich bestätige "nein, hat er nicht gerne, ist nicht gut". Sie wischt sich mit dem Arm über die Nase und fragt dann "Anouk esse?", wobei sie mich erwartungsvoll anschaut. Ich sage "ja hat es wohl die Anouk gerne?". Sie langt nach dem Knetestück und erklärt dann "nöd gän" (nicht gerne); ich bestätige "hat sie es auch nicht gerne", und sie schüttelt den Kopf "e-e".In vielen Szenen von Anouk wird deutlich, dass sie sich sehr dafür interessiert, was gut und böse ist, was man darf und was nicht. Speziell ist, dass sie sich mit diesen Themen sprachlich auseinandersetzt wie in der Bilderbuch-Szene könnte man auch hier sagen, dass sie mich in ein Gespräch verwickelt: Denn als sie fragt "Anouk esse?", scheint sie in keiner Weise daran zu denken, die Knete selbst zu essen, sondern sie will sozusagen meine Meinung zu diesem Thema hören.
Mit der tiefen Stimme des Nilpferdes frage ich "du, und jetzt von diesen Kartoffeln, kann ich noch ein wenig haben?". Leonie schaut abwechselnd mich und das Tier an und antwortet sofort "nei, ich mues na die bache, dänn chasch scho ässe" (nein, ich muss diese noch backen, dann kannst du schon essen). Deutlich wird hier die enge Verbindung des Symbolspiels zum Sprachverständnis, d.h. Leonie kann meine Frage nach den Kartoffeln unter anderem deshalb verstehen, weil sie dem Resultat ihres Knetens wirklich die Bedeutung "Kartoffeln" gegeben hat. Schliesslich zeigt ihre Antwort auch, dass sie einen symbolischen Handlungsablauf planen und gleichzeitig ihre Vorstellungen auch sprachlich ausdrücken kann.
Lynn fährt mit dem Nilpferd bis zum Ende der Schienen und führt den Zug wieder an den Anfang zurück. Sie begleitet dies lautmalerisch mit "gsu-gsu-gsu". Ich denke, dass die Handlung jetzt zu Ende sei, schaue den Bären an und sage "so, seid ihr wieder heimgekommen?". Sofort greift Lynn ein, und während sie auf den Zug zeigt, erklärt sie "nei, du musch da fahre". Ich setze den Bären auf den Zug und fahre mit ihm, was von Lynn mit ernstem Blick beobachtet wird. Hier wird nochmals deutlich, dass Lynn eine Vorstellung der Spielabfolge hat, in die sie auch mich, bzw. meinen Bären einbezieht. Tatsächlich war mein Bär nach der Schule noch nicht nach Hause gefahren, wo rauf sie mich nun hinweist.
Remo ist mit der Kasse beschäftigt, und ich frage ihn "du, tust du mal mit dem Filzstift telefonieren?". Er überlegt kurz und sagt dann "nei chani nöd" (nein, das kann ich nicht). Ich wiederhole "das kannst du nicht?", und er bestätigt "nei". Ich nehme den Filzstift und sage "du musst mal schauen, ich zeige es dir". Ich halte den Stift zum Ohr und tue, als ob ich telefonieren würde; dazu sag ich "ja, hallo, wer ist da? ist der Remo da?". Remo schaut mir skeptisch zu und antwortet dann nochmals "nei...".Diese Szene zeigt praktisch "life", wie sich Remo meine Aufforderung vorzustellen versucht, um sie dann als das zurückzuweisen, was sie ist: absurd.